Der Kaiser als Pate der Wilhelmine Victoria von Alvensleben
Der Anhalter Kurier teilt in seiner Ausgabe 266 vom 14. November 1889 mit, das sich Seine Majestät Kaiser Wilhelm II. noch im November zur Taufe der jüngsten Tochter der Familie von Alvensleben und zur Hasen- und Fasanenjagd in Neugattersleben aufhalten wird. Spekuliert wird die Zeit zwischen dem 25. November und dem 28. November, aber auch darüber welchen weiteren Reiseverlauf der Kaiser wählen wird. Wird er mit dem Zug von Bernburg nach Dessau reisen oder mit dem Wagen über Nienburg. In Neugattersleben war zu diesem Zeitpunkt schon das große Reinemachen angesagt, denn die Ankunft Seiner Majestät war für den 15. November geplant. Alle Häuser waren auf das Festlichste geschmückt wurden. Mit Einbrechen der Dunkelheit begab sich der Schlossherr Werner Alvo von Alvensleben in Kammerherrn-Uniform mit einer Kutsche, welche von vier Rappen gezogen wurde, zum Bahnhof. Es folgten zwei weitere von zwei Schimmeln gezogene Kutschen für das Gefolge des Kaisers. Pünktlich 17:00 Uhr fuhr der Sonderzug auf den Bahnhof Neugattersleben ein. Der Kaiser begrüßte Herrn von Alvensleben und den stellvertretenden Landrat von Calbe Herrn Regierungsrat Pape. Unter dem Jubel der vom Bahnhof bis zum Dorf Spalier bildenden Bevölkerung und dem Klang der Glocken begab sich Wilhelm II. direkt in die Kirche. Die Kirche, welche von 1887 bis 1889 neu erbaut wurde, war im Lichte der Fackeln erstrahlt. Am Kirchenportal wurde Seine Majestät von den anwesenden acht Geistlichen und der Familie von Alvensleben begrüßt. Unter den Klängen der Orgel schritt der Kaiser, die Frau von Alvensleben am Arm führend, in die Kirche zum Altar. An der Krippe, welche mit Samt ausgeschlagen war, nahm er mit den anderen Paten und den Familienangehörigen Aufstellung. Die Paten der Wilhelmine Victoria waren außer Seine Majestät der Kaiser, Exzellenz Wedelt, Frau von Oertzen, älteste Schwester des Herrn von Alvensleben, Frau von Krosigk-Rathmannsdorf, geborene Gräfin von Schwerin, Gräfin Hohenthal, geb. Pfeil, Graf Asseburg-Meisdorf, Exzellenz General von Krosigk-Hannover, Schwager des Herrn von Alvensleben, Kammerherr von Veltheim, Bruder der Frau von Alvensleben und der älteste Sohn des Hauses Neugattersleben, Alvo Joachim. Pfarrer Kirchner aus Hohendorf nahm vor den Anwesenden die Taufe vor. Seine Rede lautete etwa: „... Dieses Kindlein, über welches sich Mutter und Vater herzlichst gefreut haben und welches der Herr und Gott des Lebens zu den fünf Söhnen und zu der einen Tochter, die wie die Reben eines Weinstocks sich entwickelten, geschenkt hat, ist als neues Reis an dem alten ehrwürdigen Stamme, welcher hier nun durch Gottes Gnade viele Jahrhunderte lang besteht, hinzu gekommen. ... Als dies die Nachbarn und Freunde hörten, wie freuten sie sich mit ihr und wie erst, da es kund geworden, dass diese herzliche freundliche Theilnahme als ein neues Gnadengeschenk heraufgedrungen bis zum Throne und dass dieselbe Kaiserliche Majestät, welche von Gott, des Herrn, Gnade hoch, hoch über uns gestellt ist, dass sie herrsche und regiere, aus Herzensdrang zu uns herniedergekommen. Und es ist heute nun der Tag gekommen, an welchem dieses Kindlein die Taufgnade empfangen soll, damit die Freude, die schon groß ist, vollkommen werde. ... Im Namen des Herrn harre ich nun einer Antwort von Seiten der theuren Pathen, welche es übernommen haben, das Kindlein dem hochgelobten dreieinigen Gotte gegenüber in diesem Augenblicke zu vertreten, ob Du glaubest an Gott den Vater, den allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erden etc. Im Namen der Kirche bitte ich um ein einstimmiges Ja.“ Nachdem die Paten mit einem vernehmlichen Ja geantwortet hatten, fuhr Pfarrer Kirchner fort: „Und nun taufe ich Dich hiermit als Wilhelmine Victoria auf den Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.“ Nach diesem Segensspruch sang der Chor der Lehrer aus Neugattersleben und der Umgebung ein Lied und Frau von Alvensleben nahm am Altar für sich und ihrer Tochter den Segen entgegen. Wilhelm II. beglückwünschte die glücklichen Eltern. Herr von Alvensleben verließ, gefolgt von Seiner Majestät und den übrigen Herren, die Kirche um sich auf das Schloss zu begeben. Die Frauen gelangten aus dem Patronatsstuhl in das Freie.Während sich die Gäste in das Schloss begaben, sprühte von den Zinnen des Schlosses weit sichtbares Feuerwerk. Am Schlossportal wurde der Kaiser von der Frau von Alvensleben empfangen. Auf dem Schlosshof wurden alle von den Vereinen, welche mit ihren Fahnen erschienen waren, mit Liedern begrüßt. Am Abend fand im Schloss eine Tauffeier statt. Die Tischkarten trugen in dreifarbiger Ausführung das Alvenslebensche Wappen gehalten von zwei Löwen. In der Mitte der Festtafel saß Seine Majestät der Kaiser. Rechts von Wilhelm II. saß die Hausherrin Anna von Alvensleben und neben ihr der Minister von Bötticher. Links vom Kaiser saß der Oberpräsident von Wolff und gegenüber seiner Majestät saß der Hausherr Werner Alvo von Alvensleben. An der Festtafel nahmen 29 Gäste teil. Unter den Gästen befanden sich der königliche Hausminister von Wedell, Seine Excellenz Vize-Oberjägermeister Graf von der Asseburg - Falkenstein, Zeremonienmeister von Veltheim – Schönfließ und auch der Herr von Krosigk – Hohenerxleben. Die Speisekarte für diesen Abend sah wie folgt aus:
Austern, frisch und gebacken St. Pérat
Klare Schildkrötensuppe Portwein
Hummer warm mit frischer Butter 1862er Greisenheimer
Bachforellen kalt, Vinaigrettesauce Rothenberg Auslese
Yorkshire Schinken à la Milanaise 1875er Château St. Pierre, St. Julien
Krammetsvogelpastete,
Rouennaiser Enten, Salat 1884er Pommery und Greno vin sec.
Grüne Spargelköpfe mit Trüffeln 1875er Château Rauzan Ségla
Käse, Ananasmus Tokayer Ausbruch
Früchte, Nachtisch
Kurz nach Beginn des Diners erhob der Hausherr von Alvensleben sein Glas zu einem Trinkspruch. Dieser lautete in etwa: „Es ist eine alte, gute Sitte, dass das erste Glas immer Seiner Majestät dem Kaiser und Könige gilt. Ich habe eine doppelte Veranlassung hierzu, dies Glas deutschen Weines zu erheben! Eure Majestät haben die überaus große Gnade gehabt, Patenstelle bei unserem kleinen Glückskinde zu übernehmen und es selbst sogar über die Taufe zu halten – und in Folge dessen auch heute uns die Freude und Ehre Eure Majestät Gegenwart zu schenken. Wir empfinden diese Ehre tief, unsrem Danke voll und ganz Ausdruck zu geben, dazu erscheint mir die Sprache zu arm. Ich kann nur eins versichern, dass niemand sein Wort wahrer und ernster gegeben hat wie ich, wenn ich sage: Ich und mein Haus, wir wollen nächst unserem Gott unserem geliebten Kaiser dienen, wie und wo wir können, mit Gut und Blut zu jeder Stunde! So wie ich, denkt der Kreis meiner Freunde und Verwandten. Ich erlaube mir dem Wunsche Ausdruck zu geben, dass Eure Majestät bei steter Gesundheit recht, recht lange auf dem Throne Eurer Majestät Väter regieren möchte, zur Freude und Ehre der Hohenzollern, zum Glück und Stolz unseres geliebten Vaterlandes! Seine Majestät unserer allergnädigster Kaiser, König und Herr Wilhelm II. lebe hoch, hoch, hoch!“ Darauf erhob der Kaiser sein Glas zu einer Erwiderung. Er danke aufrichtig den Herrn von Alvensleben für die wiederholten gastfreundlichen Aufnahmen, die ihn in Neugattersleben zu Teil geworden waren. Wilhelm II. sprach den Wunsch aus, dass der Täufling dem erhabenen Vorbilde Derer von Alvensleben ähnlich werden möge, welche der Pfarrer in seiner Taufrede erwähnt hatte, und er gebe der Überzeugung Ausdruck, das der Täufling den erwähnten Traditionen der Familie entsprechend erzogen werde. Der Kaiser betonte im weiteren, dass die Mitglieder der Familien Alvensleben, Krosigk und Veltheim seit Alters her hervorragend tüchtige Männer der preußischen Armee hätten und dass er sich in deren Kreisen stets besonders wohl gefühlt hatte und er die Gelegenheit nutze, bei diesem Familienfest seinen königlichen Dank auszusprechen. Mit einem Hoch auf die Familie von Alvensleben in allen ihren Gliedern schloss der Toast Seiner Majestät. Getreu diesen Trinksprüchen dienten die Söhne des Herrn von Alvensleben dem Kaiser auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges, wovon zwei derselben für ihren Herrn das Leben ließen. Während die Trinksprüche der Herren im Schloss mit Begeisterung aufgenommen worden, spielte auf der Freitreppe das Trompeten-Corps des 10. Husaren-Regiments. Nach dem Diner begab sich die Festgesellschaft in den oberen Festsaal, um bei Musik den Abend ausklingen zu lassen. Zur Erinnerung an dieses Ereignis ließen die Eltern in der Kirche St. Gertrud eine Marmortafel mit folgender Inschrift anbringen:
Am Tag darauf erfolgte eine Jagd auf Hasen und Fasane, nach welcher sich der Kaiser und seine Begleitung wieder nach Berlin begaben.